GfKV-Newsletter #03

Am Freitag, dem 8. Jänner 2021 kam es um 14:05 Uhr zu einem gravierenden Vorfall im europäischen Stromversorgungssystem, der im größten zusammenhängenden Stromnetz der Welt zu einer Netzauftrennung führte. Diese konnte zum Glück durch die hervorragende Arbeit der europäischen Übertragungsnetzbetreiber nach rund einer Stunde behoben werden. Wir sollten uns dennoch nicht in eine falsche Sicherheit wiegen. Dafür gibt es noch viel zu viele offene Fragen, warum es überhaupt so weit kommen konnte. 

Besonders bedenklich ist, wenn Regierungstellen in Presseaussendungen über solche Vorfälle falsch berichten und ausgerechnet bei so einem wirklich extrem kritischen Vorfall Behauptungen über eine angeblich so sichere Stromversorgung verbreiten. Das ist völlig kontraproduktiv, denn es schwächt die Resilienz der Bevölkerung gravierend („Warum sollte eine Vorsorge getroffen werden, wenn eh keine Gefahr droht?). Die Bevölkerung muss sich da getäuscht vorkommen, was bereits durch die mangelhafte Sicherheitskommunikation während der Coronakrise schlimm genug ist. Das ruiniert leider die Glaubwürdigkeit von offiziellen Stellen und Verlautbarungen weiter.

Die genauen Zusammenhänge werden noch untersucht. Soweit bisher bekannt ist, kam es in Rumänien zu einer Verkettung von mehreren Ereignissen, die zum Eigenschutz des Systems zu dieser gravierenden Netzauftrennung führten. Im nordwesteuropäischen Netzteil (blau) kam es zu einer Leistungsunterdeckung, wodurch die Frequenz sehr rasch bis auf 49,746 Hz sank. Dieser Frequenzeinbruch führte bei verschiedenen Infrastrukturbetreibern, wie dem Wiener Flughafen oder auch in Krankenhäusern zu Folgestörungen, welche die Notstromversorgung auslösten. Im südosteuropäischen Netzteil stieg durch den Leistungsüberschuss die Frequenz auf bis zu 50,6 Hertz. In beiden Netzteilen zeigen die extremen Abweichungen von der Sollfrequenz auf ein deutlich gestörtes Leistungsgleichgewicht. Das kann in einem System, wo permanent die Balance zwischen Verbrauch und Erzeugung sichergestellt werden muss, zu weitreichenden Kaskadeneffekte führen. Das konnte zum Glück diesmal durch automatische Abschaltungen von einer Reihe von Industriebetrieben in Frankreich und Italien verhindert werden. Auf dieses automatische und völlig  dezentral erfolgte Abschalten aufgrund von Messungen der Frequenz und damit einem physikalisch im gesamten Netz nutzbaren Kriterium muss besonders hingewiesen werden. Das zeigt auf, dass eine Untergliederung des Gesamtsystems in autonom handelnde Energiezellen diesem Stromversorgungssystem eine größere Robustheit verschafft.

Am Freitag, den 8. Januar 2021 kam es erstmals seit 2006 wieder zu einer solch gravierenden Netzauftrennung im europäischen Verbundsystem und zur zweiten überhaupt. Am 4. November 2006 passierte die bisher größten Großstörungaufgrund einer Netzauftrennung. Damals sank die Frequenz im westeuropäischen Segment sogar auf 49 Hertz. Nur die sofortige Abschaltung von 10 Millionen Stromkunden konnte ein Blackout verhindern. Davon waren wir diesmal zum Glück noch deutlich genug entfernt. Jedoch weiß niemand, wie rasch bei einer solchen Störung eine weitere Eskalation („Kaskadeneffekte„) eintreten kann. Natürlich gibt es viele Sicherheitsmechanismen, die das verhindern sollen. Jedoch können diese in einem solchen Großsystem niemals real getestet werden, womit gewisse Unsicherheiten bestehen bleiben. Zum anderen kann das Verhalten eines instabilen gewordenen, komplexen Systems nicht vorhergesehen werden.

Für die Sicherheit wird im Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber, ENTSO-E, sehr viel getan. Gemäß ENTSO-E Klassifizierung (ENTSO-E. Awareness System (EAS)) wurde die dritte (Emergency) von vier (Blackout) Warnstufen erreicht: Deteriorated situation (including a network split at a large scale). Higher risk for neighbouring systems. Security principles are not fulfilled. Global security is endangered. 

Bisheriges Fazit

Die tatsächlichen Ursachen für die Netztrennung liegen noch im Dunkeln und werden nun von den europäischen Übertragungsnetzbetreibern (ENTSO-E) untersucht. Die bisherige Meldungs- und Informationslage lässt noch keinen plausiblen Schluss zu. Wie ein gleichzeitig aufgetretener begrenzter regionaler Stromausfall in Siebenbürgen/Rumänien mit dieser Großstörung zusammenhängt, ist auch noch offen. Hier sind wohl Gesetze der Komplexität schlagend geworden: keine einfachen Ursache-Wirkungsbeziehungen, kleine Ursache – große Wirkung.

Dieses Ereignis sollte jedoch als weiterer Warnhinweis („schwaches Signal“) im Sinne des Erfolgskonzeptes von High Reliability Organisations (HRO; „Organisation mit hoher Zuverlässigkeit“ – siehe Das Unerwartete managen) verstanden werden. Die Sicherheitsmechanismen haben zum Glück gegriffen. Das Ereignis hat aber auch gezeigt, dass selbst das bisher so stabile europäische Verbundsystem nicht unverwundbar ist und dass die Fragilität weiter im Zunehmen ist, auch wenn die Übertragungsnetzbetreiber alles unternehmen werden, um auch aus diesem Vorfall für die Zukunft zu lernen.

Trotz allem hier nochmals die bisherige Warnung der europäischen Übertragungsnetzbetreiber anlässlich des Blackouts in der Türkei im März 2015: A large electric power system is the most complex existing man-made machine. Although the common expectation of the public in the economically advanced countries is that the electric supply should never be interrupted, there is, unfortunately, no collapse-free power system.

Zusätzlich die Warnung des Österreichischen Bundesheeres vom Jänner 2020: Es ist binnen der nächsten 5 Jahre mit einem europaweiten Blackout zu rechnen!

Gerade die zur Zeit sehr angespannte Stromproduktionssituation in Frankreich bis Ende Februar 2021 und die angekündigte Kältewelle für Mitte bis Ende Jänner 2021 werden das europäische Verbundsystem weiter belasten. Auch eine eskalierende Pandemie, wie sie sich derzeit abzeichnet, könnte zu weitreichenden Versorgungsunterbrechungen führen (siehe etwa „Wie robust sind die österreichischen Lieferketten?“). Beispielsweise waren Wartungsarbeiten bei einigen französischen Kernkraftwerken wegen der Pandemie nicht durchführbar. Daher ist eine generelle Vorsorge weiterhin sinnvoll und geboten! Auch, wenn derzeit bereits viele Menschen und Organisationen mit der Bewältigung der Corona-Krise sehr belastet sind. Die Realität nimmt darauf keine Rücksicht!

Umfrage zur Vorsorge

Die Tageszeitung heute.at hat aufgrund des Ereignisses eine Onlineumfrage gestartet. Das Ergebnis unterstreicht die bisherigen Erkenntnisse, wie zum Beispiel aus der Studie „Ernährungsvorsorge in Österreich“ oder aus der aktuellen KFV-Studie „Blackout: Science-Fiction oder baldige Realität? mehr als deutlich: Ein Großteil der Bevölkerung rechnet nicht mit weitreichenden Versorgungsunterbrechungen, die nach einem Blackout binnen weniger Tage zu katastrophalen Auswirkungen führen würden. Daher ist es sehr befremdend, wenn hier das Klimaschutzministerium in einer Presseaussendung behauptet: Österreichische Stromversorgung ist sicher. Denn wir sind Teil des europäischen Verbundsystems, das nur im Ganzen funktioniert.

Erfreulich ist, dass das Thema Blackout-Vorsorge nun in Österreich von verschiedenen Seiten aufgegriffen und thematisiert wird. Dazu wurden für die nächsten Wochen mehrere „runde Tische“ und Fachgespräche angekündigt. Interessant ist auch, dass sich die bisherige Berichterstattung fast ausschließlich auf Österreich beschränkt. 

Weitere Details zu diesem Vorfall am 08.01.2021 finden Sie im Onlinebeitrag „Bedenkliche Ereignisse 2021”.

GfKV-Newsletter #03 – 8. Januar 2021: Schwerwiegender Zwischenfall im europäischen Stromversorgungssystem (saurugg.net)

Quelle: Herbert Saurugg, MSc, Präsident / Gottfried Pausch, Oberst i. R., Vizepräsident Experten für Blackout- und Krisenvorsorge www.saurugg.net 17.Januar, 2021